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Zur Feier des Tages besuchten wir mit unseren Kindern, Gero und Martin ein feines Restaurant in La Faute sur mer, einem Nachbarort von La Tranche-sur-mer. Im Gegensatz zu den Franzosen, die meist gegen zwanzig Uhr zum Essen gingen, waren wir bereits um achtzehn Uhr in dem über einem Fischgeschäft gelegenen Restaurant angekommen. Nun mussten alle, ob sie wollten oder nicht, irgendeinen Fisch oder Muscheln essen. Martin war im Gegensatz zu unseren Kindern sehr unkompliziert und probierte Scampi. Gero zeigte ihm, wie er das Fleisch aus der Schale befreien musste, um es zu essen. Er war begeistert davon. Immer wieder nahm er eine leere Scampi in die Hand, hielt sie hoch, nannte sie Jacques und spielte mit ihr wie mit einer Puppe. Peinlich berührt vergewisserte ich mich, dass die Bedienung nichts davon mitbekommen hatte. Bevor wir gingen, steckte sich der dreizehnjährige Bengel heimlich die Schale eines Scampi-Kopfs, in einer Serviette eingebettet, in die Tasche.

 

  Zu Hause angekommen liefen die Jungs nochmal zum Strand, und die Schweizer kamen zu uns in unser Vorzelt, tranken mit uns Cidre und wir redeten über Gott und die Welt. Plötzlich erschien Simon am Fenster des Vorzelts, schaute hindurch in Richtung des Eingangs und rief laut: „Jacques!“

 

Alle Anwesenden folgten seinem Blick. Im selben Moment schnellte ein Scampi auf einem von Martin ausgestreckten Finger um die Ecke und antwortete wie ein gehorsamer Soldat: „Oui!“

  Wir alle lachten so laut, dass ich mich selbst erschrak. Was war das für ein Auftritt gewesen. In diesem kurzen Moment hatten die Jungs Geschichte geschrieben. Noch jahrelang begleitete uns bei unseren Zusammentreffen diese Anekdote: „Jacques!“ „Oui!“

 

  Aber sie sollte damit noch nicht zu Ende gewesen sein.

 

  Für den Rückweg war eigentlich geplant, dass wir in derselben Konstellation fahren würden, wie wir gekommen waren. Das bedeutete: Charlotte und Simon fuhren mit uns und Martin mit Gesa und Gero. Das Problem dabei war: Jetzt gab es Jacques.

 

  Martin hatte beschlossen, ihn mit nach Hause zu nehmen. Gesa aber warnte ihn, dass er mit dem stinkenden skelettierten Schalentier nicht in ihr Auto käme. Martin meinte, er könne ihn doch mit seinem Deo einsprühen. Dann würde sie ihn gar nicht riechen. Aber Gesa war unerbittlich. Dieses fischige Überbleibsel durfte nicht mit.

 

  Schweren Herzens verabschiedete Martin sich von seinem Scampi-Freund und schenkte ihm zum Abschied eine würdige Bestattung an einem von Sand umgebenen Zaunpfahl. Als bester Freund hatte Simon ihn begleitet und am Grab ein paar Worte gesprochen.

 

  Später erfuhren wir, was sich während der Rückfahrt in Gesas Auto zugetragen hatte:

 

  Sie waren mitten in Paris, und Gesa konzentrierte sich auf den starken Verkehr. Gero saß auf dem Beifahrersitz und döste vor sich hin. Auch Martin auf der Rücksitzbank gab keinen Mucks von sich bis…

 

… bis er sich plötzlich aufrichtete und überrascht zu sich selber sagte: „Man riecht Jacques gar nicht.“

 

  Gesa trat vor Schreck heftig auf die Bremse, sodass das Auto fast zum Stehen kam. „Martin, du hast nicht…“, stieß sie hervor. „War Spaß!“, gab er lächelnd zu.